Ämter verscherbeln die Daten

So kommen die Parteien an Ihre Adresse

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Und plötzlich schreibt dir Gregor Gysi! Bei Hunderttausenden Deutschen landet in diesen Wahlkampf-Tagen sehr persönliche Post im Briefkasten. Aber woher kennen die Parteien die Adressen? Woher wissen sie, wo Erstwähler wohnen?

BILD hat bei Parteien und Behörden nachgefragt: Die Erklärung liegt in einer Sonderregelung für die Politiker.

Gemeldet hatte sich bei BILD ein Erstwähler aus dem Berliner Bezirk Pankow. Er hatte persönliche Post von der Linkspartei in seinem Briefkasten. Darauf stand: „Wir sind die Heidi und Gregor“. Ein Brief der Linken-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek (36) und des ehemaligen PDS- und SED-Parteichefs Gregor Gysi (77) an junge Wähler.

Die Adressen für diese Wahlwerbebriefe hatte die Linke vom Berliner Meldeamt gekauft. Zu einem Sonderpreis!

Möglich macht das eine besondere Regelung im Bundesmeldegesetz, das 2015 in Kraft trat. Nach Paragraf 50 Absatz 1 dürfen Parteien von Meldebehörden in den sechs Monaten vor der Stimmabgabe Adressen von Wahlberechtigten für Wahlwerbung bestellen.

Und das machen die Parteien dann auch. Sie kaufen fleißig Daten! Nach Angaben der Berliner Senatsverwaltung für Inneres wurden in der Hauptstadt „Anschriften aus dem Melderegister“ neben der Partei Die Linke auch der SPD, CDU, FDP und AfD übermittelt.

Adressen von Erstwählern für die AfD

Die SPD in Berlin erhielt nach eigenen Angaben insgesamt 295.000 Adressen. Die Berliner Meldebehörde stellte dafür gerade mal 2600 Euro in Rechnung. Normalerweise verlangt das Amt für eine einfache Meldeauskunft 5 Euro – das wären bei der Anzahl der SPD-Adressen 1,47 Millionen Euro. Für die Parteien ist der Adressenkauf also ein Schnäppchen.

Die Berliner AfD-Bezirksverbände Reinickendorf und Lichtenberg erhielten entsprechend ihrer Anfrage insgesamt 26.000 Datensätze (Gebühr: 300 Euro) – einmal für Erstwähler und einmal in der Altersklasse 36 bis 45 Jahre. 13.000 Wahlwerbebriefe der AfD wurden nach Angaben der Partei bislang in Berlin verschickt.

Marcel Schwemmlein, Landesgeschäftsführer der FDP Berlin: „Wir haben beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten die Adressdaten der Altersgruppe der 18- bis 27-Jährigen in ausgewählten Berliner Bezirken erfragt. Wir erhielten 248.176 Datensätze per Transferlink übermittelt und haben 130.025 Datensätze genutzt.“ Die Behörde stellte der FDP Berlin dafür 1415,71 Euro in Rechnung.

Hannover nimmt 20 Cent pro Anschrift

Die Berliner Landesverbände der Linkspartei und die CDU in Berlin machten auf BILD-Anfrage keine Angaben zur Zahl der übermittelten Meldedaten.

Auch in anderen Bundesländern liefern Einwohnermeldeämter den Parteien Adressen für gezielte Wahlwerbung. Die Preise dafür sind in den Kommunen extrem unterschiedlich. BILD fragte bei verschiedenen Städten nach.

München: Die CSU verlangte die Adressen von Wählern ab 55 Jahren (138.662 Personen) und die Grünen von Erstwählern (3000). Pro Adresse berechnet die Stadt den Parteien 10 Cent. Macht für die CSU satte 13.866 Euro.

Hannover: Die SPD bestellte die Adressen von Jungwählern (18 bis 22 Jahren) und erhielt 17.046 Datensätze. Pro Anschrift berechnet die Meldebehörde 20 Cent. Macht 3409,20 Euro.

Frankfurt (Main): AFD und FDP begehrten Erstwähler-Adressen aus zwei Wahlkreisen (19.146 Datensätze, Kosten: 700 Euro), die SPD nur aus einem Wahlkreis (9.357 Datensätze, Kosten: 600 Euro.)

Köln: Die CDU beantragte eine Gruppenauskunft zu Erstwählern und bekam 28.717 Adressen. Kosten: 750 Euro.

So ist Widerspruch möglich

Bochum: Die AFD fragte nach allen Erstwählern der Ruhrpott-Stadt (11.776 Adressen), die SPD nur nach Bochumer Erstwählern aus dem Wahlkreis 140 (Herne – Bochum II) und bekam 2391 Datensätze. Kosten für beide Parteien: 440 Euro

Düsseldorf: Die CDU fragte nach Wählern, die 1940 bis 1949 sowie von 1950 bis 1959 geboren wurden und erhielt 79.509 Adressen. Kosten: 790 Euro.

Leipzig: Die Linkspartei bestellte Wähleradressen in der Alterskohorte 18 bis 27 Jahren und erhielt 34.187 Datensätze. Preis: 132 Euro

Erfurt: Die Linkspartei bekam von der Stadt 14.734 Datensätze von Wahlberechtigten aus Bodo Ramelows Wahlkreis 192 im Alter von zwischen 70 und 80 Jahren (Kosten: 422 Euro)

► In Stuttgart erhielt die CDU gemäß ihrer Anfrage 96.081 Meldeadressen (Jungwähler), die Grünen 59.817 (50 bis 75 Jahre) und die FDP 15.827 (Jungwähler).

Hamburg: Die CDU bekam die Daten der Jung- und Erstwähler (für 2 Wahlkreise) sowie von allen Wählern ab Jahrgang 1965 und älter für einen Wahlkreis. Die SPD beantragte die Adressen von Erst- und Jungwählern sowie Wahlberechtigten der Jahrgänge 1945 bis 1960 aller 6 Hamburger Bundestagswahlkreise.

Laut Bundesmeldegesetz können sich Bürger gegen die Herausgabe ihrer Daten für Wahlwerbung an die Parteien wehren. „Gegen die Auskunft kann im Melderegister durch jede Bürgerin und jeden Bürger auf Antrag ein Widerspruch eingetragen werden (§ 50 Absatz 5 BMG). Das bedarf keiner Begründung und gilt ohne Frist“, so eine Sprecherin der Berliner Senatsverwaltung für Inneres.

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